Immer wenn es schlecht steht um die Energiewendestimmung, fällt der Blick von Redakteuren auf das Ökomusterdorf Jühnde bei Göttingen. Das 800-Seelen-Nest erinnert ein bisschen an die sozialistischen Musterdörfer, die in den Fünfzigern und Sechzigern östlich der Elbe entstanden, um die Endstufe des Fortschritts schon einmal auf kleinstem Raum vorzuführen. In dem vorbildlichen niedersächsischen Flecken produziert eine Biogasanlage Strom und Warmwasser, Windräder und Solarpanels steuern noch ein paar Megawattstunden bei. Selbstredend existieren schon ganze Festmeter an euphorischen Berichten über das Dorf, das die Energiewende schaffte, und viele Sendestunden des öffentlich-rechtlichen Funks lagern in den Archiven. Aber die gute Botschaft, dachten sich die Redakteure des „Stern“, kann gar nicht oft genug unters skeptische Volk gebracht werden. Erst recht, seit wegen der Energiewende hochmoderne Gaskraftwerke stillstehen, weil sie die Kosten nicht mehr einspielen, seit die Zahl durchsichert, dass zwei Drittel aller Windräder im Süden Verluste produzieren, und seit hier und da sogar in Zeitungen steht, dass Stromtrassen und Speicher fehlen und es sich bei den hochgelobten Green Jobs nur um subventionsgetränkte Mauerblümchen handelt.
„Nicht jammern, selbst machen! In Jühnde schafften die Leute die lokale Energiewende. Nun wollen sie mehr: eine bessere Welt“ titelten die „Stern“-Autoren (Stern 20/2015). Und: „Jühnde 2.0 könnte eine Blaupause liefern viele der 3000 deutschen Klein- und Mittelstädte.“ Zumindest dann, wenn es sich um Orte handelt, die nicht wesentlich mehr als 800 Menschen und die vor allem keine Industrieunternehmen beherbergen. Burghausen in Bayern ist auch nur ein kleiner Ort; das Werk der Wacker AG, die dort Polysilizium herstellt, verbraucht allerdings so viel Strom wie die Millionenstadt München. Und das beschauliche Ludwigshafen verschluckt zusammen mit dem Stammwerk von BASF so viel elektrische Energie pro Jahr wie Dänemark. Wer nur ein wenig mit verfügbarer Fläche und Energiedichte rechnet, kommt schnell darauf, dass ein nach Jühnde-Vorbild mit Maisgas, Wind- und Sonnenstrom vollversorgtes Deutschland eben kein Industrieland mehr sein dürfte, sondern eine Art Mittelerde, in der bestenfalls Hausschornsteine qualmen.
Nun produzieren die Jühnder mit ihrer Biogasanlage sogar mehr Strom, als sie selbst brauchen. Wer den Strom haben will, darüber brauchen sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen: dank des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) muss der Netzbetreiber ihnen den Überschuss zu einem Phantasiepreis abnehmen. „“Lieber schauen die Genossen auf ihr Konto, wo jede produzierte Kilowattstunde, die sie einspeisen, mit rund 20 Cent verbucht wird. Diesen hochsubventionierten Preis garantiert ihnen das EEG noch bis 2025“, berichtet der „Stern“. Nur zur Information am Rand: Das hochmoderne Gaskraftwerk Irsching in Bayern steht still, weil es sich selbst bei einem Produktionspreis von etwa 5 Cent pro Kilowattstunde nicht mehr rechnet. Denn der Börsenstrompreis liegt, auch dank der fröhlich eingespeisten Energiemengen vieler kleiner Jühndes, bei etwa 3,5 Cent. Abnahmeverpflichtung zu Preisen, die ein paar Millionen Verbraucher zwangssubventionieren, das gibt es natürlich nur für die Grünenergie, die zwar vom Honigtopf der Förderknete nicht loskommt, der aber in der politischen Rhetorik die Zukunft gehört, während subventionsfreie Gaskraftwerksbetreiber vom Markt fliegen. Und nur durch den stetigen Subventionsstrom von außen kann sich ein Ökowunderdorf wie Jühnde überhaupt rechnen, jedenfalls für die glücklichen Bewohner. Demnächst will die Ökogenossenschaft sogar nur noch Strom liefern, wenn er irgendwo gebraucht wird. Kein Problem, dafür gibt es nämlich eine vom Verbraucher ebenfalls bezahlte „Marktprämie“.
Die neueste Errungenschaft der Jühnder, rapportiert der „Stern“, revolutioniert jetzt sogar den ländlichen Verkehr: Im Dorf gibt es neuerdings eine Carsharing-Station für Elektromobile, die mit lokalem Strom betankt werden. Einen kleinen Erklärsatz bringen die Berichterstatter sehr unauffällig in ihrem Jubeltext unter: „Finanziert wurde das Pilotprojekt bislang mit Fördermitteln.“ Man sieht, kaum fließt anderen abgezwacktes Geld in Strömen, dann geht auf einmal sehr viel. Schließlich soll Deutschland ja seinen Anteil von 2,3 Prozent am weltweiten Kohlendioxidausstoß dringend reduzieren, vielleicht auf 2,15 Prozent. „Eigentlich“, sagt der Chef der Jühnder Öko-Genossenschaft den Stern-Leuten, „muss Deutschland Jühnde nur in groß denken, wenn es die Energiewende schaffen will.“
Ein industriefreies niedersächsisches Subventionsempfängerdorf mit 80 Millionen Einwohnern – so ähnlich, das steht zu befürchten, stellt sich auch das eine oder andere Regierungsmitglied in Berlin das Deutschland der Zukunft vor.