Schach ohne Würfel – Wenn Politiker über die Energiewende reden

In immer mehr Schulen gilt die so genannte Kompetenzorientierung als ultimative Pädagogik. Das bedeutet: Schüler sollen kein altmodisches Wissen mehr erwerben, sondern Kompetenzen. Sie müssen nicht mehr wirklich eine Verhältnisgleichung lösen oder einen halbwegs fehlerfreien Aufsatz schreiben können. Eine kompetent wirkende Powerpoint-Präsentation tut es auch. Fakten, falls benötigt, kann jeder googlen. Der Darmstädter Pädagogikprofessor Peter Euler erfand dafür den schönen Begriff „Fassadenkompetenz“. Mit ihrer profunden Kompetenz-statt-Wissen-Ausbildung gehören die Schüler allerdings nicht zur Avantgarde. Eher zu gesellschaftliche Mainstream. Am besten zeigt sich in der Energiewendediskussion der Politiker, wie sehr Fachkenntnisse überschätzt werden. Im Streit um die künftigen Stromtrassen, der zurzeit zwischen dem Bund, Bayern, Hessen und Thüringen tobt, meldete sich der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei:

„Zunächst muss geklärt werden“, meinte Ramelow, „wer wie viel Strom in seinem Bundesland produzieren wird. Daraus leitet sich dann ab, welche neuen Stromtrassen tatsächlich notwendig sind und welche bestehenden Trassen nachgerüstet werden können.“

Möglicherweise glaubt der Regierungschef tatsächlich, dass sich daraus etwas ableitet. Aber es lässt sich erstens schon kaum sagen, welches Land wie viel Strom produzieren wird, da der Anteil der Grünenergie stetig wächst – und deren reale Energieerzeugung deutschlandweit zwischen 100 Prozent Bedarfsdeckung bei viel Wind und Sonne und weniger als fünf Prozent bei trübem Himmel und Flaute schwankt. Möglicherweise meint Ramelow die installierte Leistung in den einzelnen Bundesländern, also die technische Erzeugungskapazität. Aber auch die hilft bei der Rechnung nicht viel weiter. Denn ganz gleich ob reale Produktion oder Kapazität – es kommt erstens auch darauf an, wie viel Strom eine Region selbst verbraucht. Schleswig-Holstein etwa will am Ende seiner Windrad-Ausbaupläne das Sechsfache des eigenen Strombedarfs produzieren. Es braucht also dringend Leitungen, um den an vielen Tagen anfallenden Überschuss abzutransportieren. Zweitens spielt es eine Rolle, ob ein Land überwiegend Flatterstrom aus Wind und Sonne erzeugt oder Grundlaststrom aus Kohle und Gas. Wer vor allem auf Wind und Solarkraft setzt, braucht nicht nur Stromtrassen, die ihm dann umgekehrt Strom liefern, wenn das Wetter gerade die Energiegewinnung sabotiert, er benötigt auch die Sicherheit, dass irgendwo anders noch ausreichend konventionelle Kraftwerke bereitstehen, die einspringen können. Und drittens sollen die Stromtrassen nicht die Probleme der Gegenwart lösen, sondern die ab 2022, wenn das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht. Es hängt also alles mit allem zusammen, was die Rechnung mit mehreren Unbekannten etwas schwierig macht. Wer installierte Kapazität mit Erzeugung und Zufallsstrom mit Grundlast verwechselt beziehungsweise die Unterschiede souverän ignoriert, könnte auch Dartpfeile auf eine Deutschlandkarte werfen und die Treffer verbinden – fertig wäre das Stromnetz.

Trösten kann sich Ramelow damit, dass er nicht als einzige Politiker die „Kompetenzenkompetenz“ (E. Stoiber) pflegt, also die Fähigkeit, einen Anschein zu erwecken. Bis heute gehört Cem Özdemirs TV-Auftritt von 2011 zu den Hits bei Youtube. (Hier geht’s zum Video). Damals redete der Grüne über die Stromproduktion in Deutschland, indem er mit hochkompetentem Gesichtsausdruck von erzeugten „Gigabyte“ redete. Die installierte Leistung hielt er für „Produktion“, ferner verblüffte er mit dem Rechenbeispiel, Deutschland verbrauche in Spitzenzeiten „80 Gigabyte“, erzeuge aber „140 Gigabyte“, um zu folgern: „Das Anderthalbfache haben wir also übrig von dem, was wir brauchen.“  Der Vortrag erinnert an den von Jan Böhmermann für Lukas Podolski getexteten Satz: „Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel.“

Özdemirs grüne Kollegin Katrin Göring-Eckardt wiederum erfand im Wahlkampf 2013 Pommesbuden, die von der EEG-Umlage befreit wären – was einen Jahresverbrauch der Kartoffelbräterei von 1000 Megawattstunden voraussetzen würde.  (Siehe: http://zdfcheck.zdf.de/faktencheck/eeg-umlage/)

Leider gibt es einen Unterschiede zwischen Politikern und kompetenztrainierten Schülern: die können notfalls tatsächlich die Winkelsumme im Dreieck googlen. Den Energiewendepolitikern geht es eher wie Piloten,die darüber rätseln, wie man die Kiste wieder herunterbekommt, während die Spritanzeige schon im roten Bereich steht. Die Verantwortlichen in Bundestags und Staatskanzleien simulieren zwar auch eine Lagebeherrschung, genau so wie der Sechstklässler beim Powerpointen. Aber sie sitzen an echten Steuerknüppeln.

EEG-Unterstützer verzweifelt gesucht

Ich weiß, mit Prognosen sollte sich jeder vorsehen. Erst recht in eigener Sache. Als mir  der Pressclub Wiesbaden eine Einladung zum Streitgespräch über die Energiewende schickte, meinte ich, das Publikum auf meinem Blog schon mal einstimmen zu können. Eins würden die Gäste dort nicht zu hören bekommen, nämlich den Standardsatz aller Podiumsgespräche: ich bin ja ganz bei Ihnen. Meine Voraussage erwies sich allerdings als, nun ja, Pustekuchen.

Und das, obwohl mich der Presseclub beziehungsweise mein hochehrwürdiger ZDF-Kollege Reinhard Schlieker ausdrücklich als Autor des Buches „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ gecastet hatte. Ambivalent kann man den Titel nicht gerade nennen. Mein Gegenspieler Jens Strüker, Professor für Energiemanagement an der Fresenius-Universität, würde das Gegenteil behaupten respektive beweisen. Also drehte ich gleich am Anfang alle rhetorischen Geschütztürme in seine Richtung: Erstens, in Norddeutschland wird schon jetzt an vielen Tagen weit mehr Grünstrom erzeugt als verbraucht; da sowohl Stromtrassen als auch Speicher fehlen, muss er oft massenhaft in Ausland verschenkt oder teuer entsorgt werden. Zweitens bestehen die windschwachen Südländer wie Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg trotz des Stromüberflusses im Norden darauf, ihre eigenen Windrädchen vorzugsweise in Waldgebiete zu stellen, und das, obwohl mittlerweile zwei Drittel der Mühlen im Binnenland rote Zahlen produzieren. Drittens decken die regenerativen Energien an sonnigen und windigen Junitagen schon den gesamten Strombedarf Deutschlands, bei stilltrübem Wetter wie im Dezember 2013 liefern sie allerdings kaum fünf Prozent der Elektroenergie  – ein Umstand, an dem auch jedes weitere Windrad nichts ändert. Folglich braucht Deutschland neben dem Ökostromsektor auch in Zukunft fast seinen gesamten konventionellen Kraftwerkspark, der selbst mehr und mehr zum Subventionsfall wird, weil er nur noch als Lückenspringer ans Netz darf. Die gesamte Operation Energiewende – Kosten bis heute: 400 Milliarden Euro – spart nicht ein Gramm Kohlendioxid, weil Windräder und Solarzellen keine Kilowattstunde berechenbare Grundlast ins Netz schicken. Was mich zu meinem Ceterum censeo führte: das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, muss weg – ein Gesetz, das die gewaltigste ökonomische Fehlentwicklung nach dem zweiten Weltkrieg befördert und außer ein paar  tausend Subventionsrittern keinem nützt.

Dann war Professor Strüker am Zug, und nach ein paar Minuten wurde mir klar, dass ich in Wiesbaden keine Chance zu einem Meinungskampf bekommen würde. Mein Gegenspieler sagte nämlich: Sehe ich im Prinzip genau so. In der Analyse seien wir uns sehr einig. Er finde auch, das EEG könne weg. Mit anderen Worten: ich bin ganz bei Ihnen.

Puhh. Eine rhetorische Breitseite, nur um zu sehen: Bei dem anvisierten Karthago handelt es sich um keine Festung, sondern um eine offene Stadt, über der scheinbar längst die weiße Fahne flattert.

Deshalb frage ich mit diesen Zeilen einmal in die ganz große Runde: Wer verteidigt eigentlich noch das EEG? Schon 2013 empfahl die Monopolkommission, ein Beratungsgremium führender Wirtschaftswissenschaftler, das EEG wegen gravierender Fehlsteuerungen zu streichen. Als nächstes empfahl eine von der Bundesregierung selbst eingesetzte Expertenkommission, das EEG zu streichen, weil es praktisch nichts zur technischen Innovation beitrage. Im Herbst 2014 empfahlen die so genannten Wirtschaftsweisen der Bundesregierung wiederum, das EEG abzuschaffen. Vor wenigen Tagen erklärte Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel bei einem Auftritt in Stuttgart, bei der Energiewende „passt so gut wie nichts zusammen“. Er sagte dort praktisch das Gleiche wie ich, der kleine unmaßgebliche Buchautor, in Wiesbaden. Aber irgendwelche Unterstützer muss es doch geben, die sich für die milliardenverschlingende Umverteilungs- und Chaosmaschine in die Bresche werfen. Franz „die Sonne schickt keine Rechnung“ Alt? Claudia „die EEG-Umlage wird nicht über 3,59 Cent steigen“ Kemfert? Jürgen „Eiskugel“ Trittin? Anyone? Wenn sie noch zu den EEG-Anhängern zählen, dann meiden sie jedenfalls seit einiger Zeit die Arenen des öffentlichen Meinungskampfes.

Praktisch alle Wirtschaftsexperten rammen das EEG in den Boden, der zuständige Minister hält es für ein missratenes Monstrum (siehe Stuttgarter Nachrichten). Aber trotzdem läuft es weiter und weiter, zerlegt die Energiewirtschaft und schluckt jährlich über 20 Milliarden. Karthago steht ohne Verteidiger da, bleibt aber rätselhafterweise Großmacht.

Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, jetzt eine Massenpetition gegen das EEG zu starten.

 
Hier das Link zum Bericht des Wiesbadener Kuriers über die Diskussion.
Foto: Presseclub

Ein paar Eiskugeln vor. Ein paar Kleckse zurück.

Warum die Stromkunden wenig davon haben, wenn die EEG-Umlage fällt

Am 15. Oktober geben die deutschen Netzbetreiber bekannt, wie viel Ökostrom-Umlage die Verbraucher ab Januar 2015 zahlen müssen. Dieses Mal deutet sich eine kleine Sensation an: die Umlage könnte womöglich erstmals seit dem Jahr 2000 minimal fallen – wahrscheinlich um 0,07 Cent pro Kilowattstunde, deren Preis für Haushaltskunden bei rund 28,50 Cent liegt. An der Ökostromreform Sigmar Gabriels liegt das nicht, denn die trat gerade erst im August in Kraft. Und es beweist auch nicht, wie der Grünen-Energiepolitiker Oliver Krischer behauptete, „dass grüne Energie immer günstiger wird“.  Der Begriff „günstig“ passt ohnehin schlecht für Energien, die im vergangenen Jahr – rein netto – rund 14 Milliarden Euro an Subventionen schluckten. Der Mini-Rückgang liegt in Wirklichkeit daran, dass die Stromkunden mit  der Ökostromumlage seit Kurzem auch ein Finanzpolster in der Kasse der Netzbetreiber aufbauen – also eine Art Vorschuss entrichten, von dem sie jetzt eine Kleinigkeit wiederbekommen. Zweitens wächst die Zahl der Windräder und Solaranlagen seit 2013 etwas langsamer als in der Vergangenheit. Außerdem wehte der Wind 2013 und im ersten Halbjahr 2014  zaghafter als im Schnitt der vergangenen Jahre, es entstand also  weniger subventionsbedürftiger Strom als prognostiziert. Steigende Netzgebühren und die kletternde Offshore-Umlage dürften übrigens den zarten Rückgang im Zehntelcent-Bereich schleunigst wieder kassieren.

Wer seine Stromrechnung mit älteren Unterlagen vergleicht, der kann die Mini-Senkung gut einordnen. Denn über die langfristige Entwicklung gab das statistische Bundesamt vor kurzem Auskunft: Seit dem Jahr 2000 stieg der Strompreis für Haushalte in Deutschland um 92 Prozent. Die Bundesbürger zahlen mittlerweile den zweithöchsten Tarif für Elektroenergie in Europa. Nur in Dänemark ist die Energie aus der Steckdose noch teurer. Fast zeitgleich mit der Berechnung des Statistikamtes forderte die Verbraucherschutzzentrale Nordrhein-Westfalen, die Energieversorger sollten ihre Preise senken. Spielraum gebe es genug. Der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter lieferte eine  passende Analyse, warum die Stromkosten für die Verbraucher trotz billiger Börsenstrompreise nicht sinken:  „Weil sich einige Konzerne die Taschen vollstopfen. Wir haben zu wenig Wettbewerb auf dem Strommarkt.“

Liegt der Preisgalopp tatsächlich nur an gierigen Energiekonzernen? Welches Geld wohin fließt, kann jeder nachrechnen, der sich den Strompreis ansieht. Denn der gleicht einer Schichttorte: ein Teilbetrag liegt auf dem nächsten. Eigentlich handelt es sich um drei große Schichten. Erstens die gesetzlichen Abgaben und Steuern. Sie machen etwas mehr als die Hälfte aus, zusammen 14, 42 Cent pro Kilowattstunde. Der dickste Brocken, 6,24 Cent, geht an die Betreiber der Ökostrom-Anlagen. Zum Vergleich: im Jahr 2000, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft trat, betrug die EEG-Umlage gerade 0,19 Cent pro Kilowattstunde, weniger als ein Dreißigstel des heutigen Betrages. Ein paar Jahre später gab Jürgen Trittin seine berühmte Prognose ab, die Grünstromförderung würde jede Familie nur ein Euro pro Monat kosten, „so viel wie eine Kugel Eis.“ Aber zurück den Kostenscheiben: 1,79 Cent zahlt jeder Kunde pro Kilowattstunde an Konzessionsabgabe, 0,126 Cent für die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, 0,329 Cent für die Entlastung der Industrieunternehmen, die nur eine reduzierte EEG-Umlage zahlen, weitere 0,25 Cent, um die Verluste von technischen Pannen an Offshore-Windparks auszugleichen. Dann bedient sich noch der Staat mit 2,05 Cent Stromsteuer und 4,7 Cent Mehrwertsteuer. Da die Mehrwertsteuer auf alles gilt, auch auf die Ökostromumlage, verdient der Bundesfinanzminister bei jeder EEG-Umlagenerhöhung kräftig mit.

Weitere 20 Prozent des Gesamtpreises fließen als Netzgebühr für den Transport des Stroms. Auch die reichen die Energieversorger wie ein Inkassobüro nur weiter. Ihnen bleiben gerade 30 Prozent des Bruttopreises als eigentliche Einnahme übrig. Gegner der Stromversorger wenden ein, der Preis an der Leipziger Strombörse sei aber deutlich gefallen – und diesen Vorteil könnten die Unternehmen doch zur Kostendämpfung an ihre Kunden weiterreichen. Doch erstens bedeutet es für Endverbraucher gar keine gute Nachricht, wenn der Börsenstrompreis nach unten geht. Denn die Höhe der Ökostromumlage richtet sich nach der Differenz zwischen Börsenpreis und den festen Einspeisevergütungen für Betreiber von Windrädern, Solarpanels und Biogasanlagen. Fällt also der Börsenstrompreis, dann steigt die EEG-Umlage automatisch – und damit der Verbraucherpreis. Genau dieser Zusammenhang trug kräftig dazu bei, dass der  EEG-Grünstromaufschlag allein seit 2012 um 70 Prozent nach oben schoss.

Außerdem kaufen die Versorgungsunternehmen nicht ihren gesamten Strom an der Börse, um ihn weiterzuverkaufen – denn in dem Fall müssten sie ja ihre eigene Energie zurückkaufen. Sie stellen den Strom in vielen Fällen selbst her und liefern direkt an Kunden mit langfristigen Kontrakten. Leider immer öfter teurer als die Börse, wo die Grünstrom-Mengen die Preise drücken. Vor allem moderne Gaskraftwerke arbeiten schlicht zu teuer, um noch ihre Kosten zu decken. Der wirtschaftliche Druck trifft nicht nur Konzerne, sondern auch  Stadtwerke. „An vielen Tagen“, klagt etwa der Vorstandschef der Stadtwerke Erlangen Wolfgang Geus, „ist das Gas teurer als Strom, den wir damit produzieren.“ Die Aufforderung, seine Strompreise zu senken, dürfte er als absurden Witz empfinden.

Auch die großen Unternehmen am Markt stopfen sich nicht gerade die Taschen voll, wie Hofreiter meint. Das landeseigene baden-württembergische Unternehmen EnBW nahm 2014 eine Abschreibung von 1,2 Milliarden Euro vor und bildete eine Verlustrückstellung von 300 Millionen Euro. Der Konkurrent RWE gab für 2013 einen Rekordverlust von 2,8 Milliarden Euro bekannt. Mitbewerber Eon verdient zwar noch etwas Geld, 2013 ging der Gewinn allerdings schon um 14 Prozent zurück, für 2014 kündigte der Vorstand ein abermaliges Schrumpfen an. Fast der gesamte konventionelle Kraftwerkspark in Deutschland erwirtschaftet Verluste, weil er nur noch als Lückenspringer ans Netz darf, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Allein EnBW möchte deshalb fünf seiner Kraftwerke stilllegen. Das Unternehmen darf nicht. Denn die Bundesnetzagentur stuft diese Anlagen als „systemrelevant“ ein, weil sie die Unzuverlässigkeit des Ökostroms ausbalancieren müssen. Der Energieversorger  muss also Verlust machen – gesetzlich garantiert.

 

(Dieser Text ist auch auf der Achse des Guten erschienen)

Plötzlich Mainstream

Ich bin ohne eigenes Zutun in etwas hineingeraten: in die Mitte, den Mainstream, den Konsens. Wie gesagt, ich hatte es nicht darauf angelegt. Mein E-Buch „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ steht seit heute zum Herunterladen bereit. Möglicherweise wirkt es im März 2014 tatsächlich nicht mehr völlig wie eine Nischenpublikation. Ich nehme das mit leichter Erschütterung hin.

Bis vor kurzem gab es immer eine sehr zuverlässige Methode, um das Wohlwollen ansonsten freundlicher Menschen zu riskieren: Ich musste nur erwähnen, dass ich die Komplettumstellung der deutschen Stromversorgung auf Wind und Sonne für ein Projekt von Esoterikern, Naturwissenschaftsphobikern und fähigen Lobbyisten halte. Nicht, dass mir meine Gesprächspartner daraufhin komplexe Argumente an den Kopf geworfen hätten. Eine Standardentgegnung lautete: Ach, du findest wohl Kernkraft gut? Wenn ich meinen Zweifel an der Weisheit des Plans durchblicken ließ, beispielsweise gleich neben den Drachenfels über dem Rhein einen Windpark in ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet zu klotzen, dessen Rotoren in diesem ausgeprägten Schwachwindgebiet noch nicht einmal nennenswerte Energieausbeute versprechen, hieß es ab und zu: Willst du denn lieber ein Braunkohlemeiler am Rhein? Ein paar Leute fanden außerdem meine habituelle Tarnung hochgradig tückisch: Fahrradfahrer, Vegetarier, ein ökologischer Minifußabdruck im Vergleich zu Margot Käßmann – und dann solche Ansichten.

Jedenfalls, als ich im Oktober 2013 damit anfing, „Der grüne Blackout“ zu schreiben, tat ich das im Bewusstsein, zu einer kleinen skurrilen Minderheit zu zählen. Ich saß Abend für Abend inmitten von Recherchematerial, gegen das niemand etwas einwenden konnte, weil es zu hundert Prozent aus öffentlichen Quellen stammte: Netzagentur-Berichte über den Phantomstrom etwa, den Windradbetreiber gar nicht produzieren, aber trotzdem vergütet bekommen, oder über Ökostrom, der in Deutschland erst teuer produziert und anschließend noch einmal teuer nach Frankreich verklappt wird. Oder Daten über die Verluste, die etwa jeder dritte so genannte Bürgerwindpark trotz aller Subventionen einfährt.

Wie weit draußen ich stand, machte mir aus der Ferne ein deutsches Delegationsmitglied der Weltklimakonferenz in Warschau klar, die sagte, die Energiewende sei das größte Projekt ihres Landes seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Bevölkerung würde es nahezu geschlossen unterstützen.

Dann, während ich die letzten Kapitel schrieb, passierte etwas. Es gab eine Forsa-Umfrage, in der nur noch 9 Prozent der Befragten angaben, sie könnten sich eine Vollversorgung Deutschlands mit Ökostrom vorstellen. Im Jahr 2011 lag dieser Anteil noch bei 39 Prozent. Die Umfrage schaffte es zwar nur in sehr wenige überregionale Medien, fand aber im Berliner Regierungsviertel und in den Landeshauptstädten offenbar Leser. Als erster grüner Politiker sagte der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck Ende 2013, die festen Vergütungen für Ökostrom seien zu hoch, sie müssten sinken, sonst würde es bald gar keine Unterstützung der Bürger für Windräder und Solarkraftwerke geben. Der Chef der halbstaatlichen Deutschen Energieagentur Stephan Kohler meinte, der völlig planlose Ausbau von Grünstromanlagen weitab von Stromnetzen und Verbrauchern müsse sofort aufhören, „sonst fährt die Energiewende gegen die Wand“. Und Sigmar Gabriel, als neuer Energiewendeminister frisch vereidigt, erklärte in einem seiner ersten Interviews, er finde erstens, der Atomausstieg sei 2011 zu hastig durchgepaukt worden, zweitens könne Deutschland nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen. Und drittens: die Förderkosten für Ökostrom müssten dringend runter. Die meisten Berliner Journalisten konnten sich vor Schreck gar nicht daran erinnern, dass vor längerer Zeit ein kleiner korpulenter Sozialdemokrat aus Goslar im Umweltministerium saß und dort vor allem die exorbitanten Solarförderungen widerstandslos durchwinkte, jedenfalls erwähnte es praktisch keiner, aber  wie auch immer, Gabriel in seinem neuen, gewissermaßen noch unbenutzten Amt setzte einen ganz neuen Ton.

Im Februar 2014 schließlich – mein Buch war schon abgeschlossen – kam ein Sachverständigenrat der Bundesregierung zu dem Schluss, das Erneuerbare-Energien-Gesetz trage so gut wie nichts zur technischen Innovation bei, und sollte daher schleunigst abgeschafft werden. Genau das hatte ich einige Wochen vorher auch geschrieben, vor Kühnheit zitternd und gleichzeitig vor Angst, nach der Veröffentlichung nie wieder von meinen grünen Freunden eingeladen zu werden.

Wie fühlt es sich nun an, wenn der eigene kleine Nebenarm der Diskussion plötzlich zum Hauptstrom anschwillt? Überraschend. Aber ganz so konfliktlos verschmelzen die Ströme ja doch nicht. Sigmar Gabriel will das Erneuerbare-Energien-Gesetz umbauen, nicht abschaffen. Und die eigentliche Lobbyistenschlacht steht noch bevor: sie beginnt, wenn um Ostern herum genau feststeht, welcher Ökoenergieproduzent auf welche Wohltaten verzichten soll. Mehr als 20 Milliarden Euro verteilt das EEG um, und die Branche dürfte keinen einzigen Euro kampflos hergeben, sondern bei jedem einzelnen die Taifunopfer auf den Philippinen beschwören.

Die Teilwende der deutschen Energiepolitik überholt den Lesestoff des „Grüne Blackout“ nicht, nämlich die Geschichte, wie eine kleine, bestens organisierte Einflussgruppe es schaffte und größtenteils immer noch schafft, ihre eigenen Erwerbsinteressen zum Allgemeinwohl zu erklären. Das bleibt auch im März 2014 ein realitätsgesättigter Thriller. Aber: heimlich muss ihn jetzt keiner mehr lesen.