Streitgespräch mit Prof. Strücker zum Thema Energiewende

In der 8. Medienlounge in Wiesbaden am 25. November wird das Publikum einen Satz garantiert nicht hören: „Ich bin ganz bei Ihnen“. Über die Frage „kann die Energiewende überhaupt gelingen?“ streite ich mit  Professor Jens Strüker von der Hochschule Fresenius.

Denn die Antwort lautet: die 2011 auf dem politischen Reißbrett entworfene Energiewende ist schon gescheitert.

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Wenn niemand zuhört: Innenansichten über die Energiewende

Journalisten führen regelmäßig so genannte Gespräche „unter drei“. Der Code bedeutet: Was Politiker oder Chefs von Unternehmen und Organisationen dort sagen, darf nicht zitiert werden, auch nicht camoufliert. Also nicht einmal in der Form: „sagte ein Mitglied des Bundeskabinetts“. Wozu finden solche Gespräche dann überhaupt statt? Weil Amtsträger auch gern einmal aussprechen, was sie wirklich denken, was sie wiederum nur in einer geschützten Atmosphäre tun können, eben unter drei beziehungsweise unter vier Augen. Dem Gespräch wohnt also durchaus eine therapeutische Komponente inne. Die interessantesten, saftigsten und überraschendsten Äußerungen unter drei, die ich in den letzten zwei Jahren zu hören bekam, betrafen ausnahmslos die Energiewende. Natürlich würde ich sie liebend gern komplett zitieren. Das kann ich nicht, ohne den vertraulichen Modus zu verletzen.

catEinen kleinen Ausweg gibt es allerdings, gewissermaßen die Katzenklappe, durch die ein Journalist der Situation entschlüpfen kann, ohne zu viel preiszugeben. Und fast alle großen Medien, „Spiegel“, „Zeit“ et al. praktizieren sie irgendwann. Zu diesem Zweck verschleiern sie (und im Folgenden auch ich) die Identität der Zitatgeber bis zur Unkenntlichkeit. Nur an den Zitaten selbst ändert sich nichts. Es handelt sich also eher um eine soziologische Untersuchung zu der Frage, wie prominente und mächtige Zeitgenossen in Deutschland das Projekt Energiewende beurteilen, wenn keiner weiter zuhört.

1. Ein Vorsitzender einer großen, einflussreichen Organisation, der öfters sowohl mit Angela Merkel als auch mit Sigmar Gabriel und etlichen Abgeordneten spricht: „Die Parteien in Berlin unterscheiden sich bei der Energiewende nur durch die Grade ihres Irrsinns.“
2. Ein Unionspolitiker, der einmal zu den Wichtigen in der Partei gehörte: „Ich habe mit Angela Merkel oft über die Energiewende gestritten. Sie ist da stur bis zum ideologischen Starrsinn.“
3. Ein führender Unionspolitiker: „Mit der Energiewende ist es wie mit einem Fuhrwerk, das in eine Sackgasse fährt. Da braucht man nicht hinterherzulaufen, denn das kommt genau dort wieder heraus, wo es eingebogen ist. Von Unterhaltungswert ist nur das Wendemanöver.“
4. Ein Politiker, der sich mit Angela Merkels duzt: „Haben Sie einen Ofen? Ich meine, einen Ofen, in dem Sie richtig Holz verbrennen können? Nein? Ich habe einen Ofen, ein Grundstück, und Holzvorräte. Mir würde ein Blackout nichts ausmachen.“
5. Ein gewichtiger Sozialdemokrat in Angela Merkels Kabinett: „Die Energiewende steht kurz vor dem Aus. Die Wahrheit ist, dass wir auf fast allen Feldern die Komplexität der Energiewende unterschätzt haben. Für die meisten anderen Länder in Europa sind wir sowieso Bekloppte.“

Gut, in diesem Fall spricht nichts dagegen, den Urheber zu nennen: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Bei einem Besuch eines Kasseler Solarunternehmens rutschte ihm die Bemerkung heraus, und der Reporter einer lokalen Nachrichtenplattform sorgte für ihre Verbreitung. Gabriel dementierte sie nicht.
Mittlerweile muss er auch nicht mehr befürchten, mit seinem Urteil einsam dazustehen. Der Bundesrechnungshof veröffentlichte kürzlich einen regelrechten Verriss der Energiewende: Die Maßnahmen der Bundesregierung seien „unkoordiniert, uneinheitlich, redundant“. Den Ministerien bescheinigen die Rechnungsprüfer, dass ihnen „der umfassende Überblick über die von ihnen selbst eingeleiteten Maßnahmen fehlt“. Die Bundesnetzagentur wiederum weist darauf hin, dass der Bau von 1860 Kilometern neuer Stromtrassen, die eigentlich bis 2015 den Windstrom in den Süden transportieren sollten, gelinde hinterherhinkt. Bis heute existieren davon gerade knapp 300 Kilometer. Niemand braucht prognostische Fähigkeiten, um vorauszusehen: Auch bis 2020 steht das Leitungsnetz noch nicht, das eigentlich schon in einem halben Jahr gebraucht würde.
Der Plan wiederum, den in diesen Mengen weder benötigten noch transportierbaren Ökostromüberschuss zu speichern, zerbröselt unter den Augen der Bundesregierung. Ein Gutachten in Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums untersuchte vor kurzem, ob sich unter den Bedingungen der Energiewende der Bau von Pumpspeicherwerken noch lohnt. Die klare Antwort: Nein. „Die ermittelten Deckungsbeiträge werden nicht zur Refinanzierung von Neuinvestitionen in Pumpspeicherwerke ausreichen,“ heißt es in dem Papier. Andere Speichertechniken wie synthetisches Methan oder Riesenbatterien befinden sich ohnehin noch im Versuchsstadium.
Was bedeutet es eigentlich, dass fast die gesamte wirtschaftliche und politische Elite weiß, dass sich das teuerste Projekt der deutschen Nachkriegsgeschichte zu einer fulminanten Katastrophe entwickelt, dass ihre Mitglieder aber gleichzeitig glauben, sie dürften die Erkenntnis nicht laut aussprechen? Normalerweise scheue ich den Gebrauch historischer Parallelen. Aber hier passt sie möglicherweise doch ins Bild. Ich hatte mich als Journalist in den vergangenen Jahren immer wieder mit ehemaligen DDR-Funktionären unterhalten. Darunter gab es durchaus kluge, reflektierte Leute. Sie versicherten mir ausnahmslos, dass sie den Zusammenbruch ihres Staates schon lange vor 1989 vorausgesehen hatten. Auf meine Frage, warum sie dann weiter mitgemacht hätten, zuckten sie mit den Schultern. Sie sagten, sie verstünden das mittlerweile selbst nicht mehr.

Mein Buch „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ zeichnet in einer erweiterten Neuausgabe die Geschichte eines singulären Scheiterns gewissenmaßen in Echtzeit nach. Und es bilanziert die Schäden, in der Volkswirtschaft wie in der Natur. Das Buch zum Desaster gibt es seit dem 1. September endlich nicht nur als E-Book (bei Amazon oder direkt von meiner Seite), sondern bei Amazon auch als Taschenbuch mit 178 Seiten für 9,99 Euro. Das Taschenbuch besitzt einen unschlagbaren Vorteil: Man kann es lesen, und anschließend dem Politiker seiner Wahl ins Abgeordnetenbüro schicken.

Herr Gabriel macht einen Kompromiss

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit, in den der Steuer- und Abgabenbürger gelegentlich schauen muss. Im Jahr 2005 kämpfte die SPD gegen eine drohende Merkel-Regierung, sie attackierte zu diesem Zweck vor allem die Ankündigung der Union, die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte anzuheben. Das sei den Bürgern unzumutbar. Die SPD erfand den Slogan: „Merkelsteuer, das wird teuer.“ Nach der Wahl fanden sich die Sozialdemokraten in der Regierung mit Merkel wieder, und schlossen einen historischen Mehrwertsteuerkompromiss: Der Abgabensatz stieg nicht um zwei, sondern um drei Prozentpunkte.
Diese Geschichte des hart erkämpften Kompromisses wiederholt sich gerade. Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel trat sein neues Amt mit der Versicherung an, die Ökostromumlage müsse endlich einmal sinken, zumindest dürfe sie nicht weiter steigen. Die Belastung der Bürger sei hoch genug. Gerade die Sozialdemokraten müssten die Kosten der Energiewende in den Griff bekommen. Gabriel legte einen Entwurf für ein verbessertes Erneuerbare-Energien-Gesetz vor, plante hier eine kleine Begrenzung bei Windstromsubventionen und dort eine vorsichtige Kappung bei Biogas. Dann ging er in die Verhandlung mit den Bundesländern. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hatte sich schon vorab beschwert und mitgeteilt, er halte Gabriels Subventionsgrenze von 2500 Megawatt Windkraft für neu errichtete Räder an Land pro Jahr für „reinen Sozialismus“.

Offenbar gibt es keinen schlimmeren Vorwurf unter Sozialdemokraten. Jedenfalls vereinbarte Sigmar Gabriel nach einer abendlichen Verhandlung mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt einen Kompromiss: Die Ökostromumlage sinkt nicht, sie bleibt auch nicht gleich. Sondern sie steigt weiter. Wenn bestehende Windräder an Land durch größere Rotoren ersetzt werden, dann fallen sie nicht unter die ohnehin schon großzügige Deckelung für Windkraftsubventionen, sondern dürfen sich auch jenseits der 2500-Megawatt-Line aus dem Umlagetopf bedienen. Auch diese Änderung drängten vor allem die Nordländer. Und es bleibt zwar im Prinzip bei Gabriels Vorstellung, nur noch den Neubau von 100 Megawatt jährlich bei Biogasanlagen zu subventionieren. Aber: Landwirte, die ihre bestehenden Anlagen weiter ausbauen, bekommen für den Strom aus dem Pflanzengas weiter praktisch unbegrenzt Subventionen. Diese kleine Korrektur lag vor allem Horst Seehofer am Herzen. Für Betreiber von Offshore-Windkraft-Plattformen verlängerte Gabriel selbst –  ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit –  den Höchstfördersatz von 19 Cent pro Kilowattstunde. An der Strombörse kostet eine Kilowattstunde zurzeit ungefähr 4 Cent;  bei jeder Kilowattstunde Offshore-Windstrom muss der Stromkunde über die EEG-Umlage also 15 Cent zuschießen. Es dürfte weltweit nicht viele Fälle geben, in denen die Subventionshöhe eines Gutes mehr als das Dreifache des Basispreises beträgt.  Liegen die Anschlusskabel für eine Rotorenplattform nicht rechtzeitig, dann zahlt der Stromkunde auch: nämlich Offshore-Haftungsumlage.

Eine ganz naheliegende Idee stand übrigens weder vor, noch nach dem Kompromiss in Gabriels Gesetzentwurf, nämlich der Gedanke, die Subventionslaufzeit für neue Windräder, Solardächer und Biogasanlagen wenigstens zu begrenzen, auf fünf oder sieben Jahre, wenn schon die politische Kraft für die Abschaffung des EEG nicht reicht.  Die Betreiber aller neuen Grünstromanlagen, die jetzt und demnächst ans Netz gehen, können sich nach wie vor über 20 neue subventionierte Jahre freuen. Die EEG-Umlage ist damit mindestens bis in die dreißiger Jahre des 21. Jahrhunderts sicher.

Und der nächste Kompromiss auch.

 

Plötzlich Mainstream

Ich bin ohne eigenes Zutun in etwas hineingeraten: in die Mitte, den Mainstream, den Konsens. Wie gesagt, ich hatte es nicht darauf angelegt. Mein E-Buch „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ steht seit heute zum Herunterladen bereit. Möglicherweise wirkt es im März 2014 tatsächlich nicht mehr völlig wie eine Nischenpublikation. Ich nehme das mit leichter Erschütterung hin.

Bis vor kurzem gab es immer eine sehr zuverlässige Methode, um das Wohlwollen ansonsten freundlicher Menschen zu riskieren: Ich musste nur erwähnen, dass ich die Komplettumstellung der deutschen Stromversorgung auf Wind und Sonne für ein Projekt von Esoterikern, Naturwissenschaftsphobikern und fähigen Lobbyisten halte. Nicht, dass mir meine Gesprächspartner daraufhin komplexe Argumente an den Kopf geworfen hätten. Eine Standardentgegnung lautete: Ach, du findest wohl Kernkraft gut? Wenn ich meinen Zweifel an der Weisheit des Plans durchblicken ließ, beispielsweise gleich neben den Drachenfels über dem Rhein einen Windpark in ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet zu klotzen, dessen Rotoren in diesem ausgeprägten Schwachwindgebiet noch nicht einmal nennenswerte Energieausbeute versprechen, hieß es ab und zu: Willst du denn lieber ein Braunkohlemeiler am Rhein? Ein paar Leute fanden außerdem meine habituelle Tarnung hochgradig tückisch: Fahrradfahrer, Vegetarier, ein ökologischer Minifußabdruck im Vergleich zu Margot Käßmann – und dann solche Ansichten.

Jedenfalls, als ich im Oktober 2013 damit anfing, „Der grüne Blackout“ zu schreiben, tat ich das im Bewusstsein, zu einer kleinen skurrilen Minderheit zu zählen. Ich saß Abend für Abend inmitten von Recherchematerial, gegen das niemand etwas einwenden konnte, weil es zu hundert Prozent aus öffentlichen Quellen stammte: Netzagentur-Berichte über den Phantomstrom etwa, den Windradbetreiber gar nicht produzieren, aber trotzdem vergütet bekommen, oder über Ökostrom, der in Deutschland erst teuer produziert und anschließend noch einmal teuer nach Frankreich verklappt wird. Oder Daten über die Verluste, die etwa jeder dritte so genannte Bürgerwindpark trotz aller Subventionen einfährt.

Wie weit draußen ich stand, machte mir aus der Ferne ein deutsches Delegationsmitglied der Weltklimakonferenz in Warschau klar, die sagte, die Energiewende sei das größte Projekt ihres Landes seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Bevölkerung würde es nahezu geschlossen unterstützen.

Dann, während ich die letzten Kapitel schrieb, passierte etwas. Es gab eine Forsa-Umfrage, in der nur noch 9 Prozent der Befragten angaben, sie könnten sich eine Vollversorgung Deutschlands mit Ökostrom vorstellen. Im Jahr 2011 lag dieser Anteil noch bei 39 Prozent. Die Umfrage schaffte es zwar nur in sehr wenige überregionale Medien, fand aber im Berliner Regierungsviertel und in den Landeshauptstädten offenbar Leser. Als erster grüner Politiker sagte der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck Ende 2013, die festen Vergütungen für Ökostrom seien zu hoch, sie müssten sinken, sonst würde es bald gar keine Unterstützung der Bürger für Windräder und Solarkraftwerke geben. Der Chef der halbstaatlichen Deutschen Energieagentur Stephan Kohler meinte, der völlig planlose Ausbau von Grünstromanlagen weitab von Stromnetzen und Verbrauchern müsse sofort aufhören, „sonst fährt die Energiewende gegen die Wand“. Und Sigmar Gabriel, als neuer Energiewendeminister frisch vereidigt, erklärte in einem seiner ersten Interviews, er finde erstens, der Atomausstieg sei 2011 zu hastig durchgepaukt worden, zweitens könne Deutschland nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen. Und drittens: die Förderkosten für Ökostrom müssten dringend runter. Die meisten Berliner Journalisten konnten sich vor Schreck gar nicht daran erinnern, dass vor längerer Zeit ein kleiner korpulenter Sozialdemokrat aus Goslar im Umweltministerium saß und dort vor allem die exorbitanten Solarförderungen widerstandslos durchwinkte, jedenfalls erwähnte es praktisch keiner, aber  wie auch immer, Gabriel in seinem neuen, gewissermaßen noch unbenutzten Amt setzte einen ganz neuen Ton.

Im Februar 2014 schließlich – mein Buch war schon abgeschlossen – kam ein Sachverständigenrat der Bundesregierung zu dem Schluss, das Erneuerbare-Energien-Gesetz trage so gut wie nichts zur technischen Innovation bei, und sollte daher schleunigst abgeschafft werden. Genau das hatte ich einige Wochen vorher auch geschrieben, vor Kühnheit zitternd und gleichzeitig vor Angst, nach der Veröffentlichung nie wieder von meinen grünen Freunden eingeladen zu werden.

Wie fühlt es sich nun an, wenn der eigene kleine Nebenarm der Diskussion plötzlich zum Hauptstrom anschwillt? Überraschend. Aber ganz so konfliktlos verschmelzen die Ströme ja doch nicht. Sigmar Gabriel will das Erneuerbare-Energien-Gesetz umbauen, nicht abschaffen. Und die eigentliche Lobbyistenschlacht steht noch bevor: sie beginnt, wenn um Ostern herum genau feststeht, welcher Ökoenergieproduzent auf welche Wohltaten verzichten soll. Mehr als 20 Milliarden Euro verteilt das EEG um, und die Branche dürfte keinen einzigen Euro kampflos hergeben, sondern bei jedem einzelnen die Taifunopfer auf den Philippinen beschwören.

Die Teilwende der deutschen Energiepolitik überholt den Lesestoff des „Grüne Blackout“ nicht, nämlich die Geschichte, wie eine kleine, bestens organisierte Einflussgruppe es schaffte und größtenteils immer noch schafft, ihre eigenen Erwerbsinteressen zum Allgemeinwohl zu erklären. Das bleibt auch im März 2014 ein realitätsgesättigter Thriller. Aber: heimlich muss ihn jetzt keiner mehr lesen.